Freitag, 10. Juni 2022

TH Nürnberg untersucht bayernweit Zukunft der Feuerwehren –     
Kirchehrenbacher unterstützen Forschungsprojekt  

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Per digitaler Konferenz haben Kirchehrenbacher Feuerwehrleute ein bayernweites Forschungsprojekt zur Zukunft der Freiwilligen Feuerwehren unterstützt. Fotos: md/smü/Montage

 

Kirchehrenbach/Nürnberg    „Wer löscht morgen?“: Eine mehr als berechtigte Frage. Und Antworten darauf sucht ein Forschungsprojekt der Technischen Hochschule (TH) Nürnberg. Sie untersucht das ehrenamtliche Engagement in den Freiwilligen Feuerwehren in Bayern. Zur Analyse der aktuellen Situation haben auch zwei Kirchehrenbacher Feuerwehrangehörige beigetragen. Ergebnis des Projekts sollen in den nächsten zwei Jahren konkrete Handlungsempfehlungen für den Fortbestand der kommunalen Feuerwehren sein.

Bei drei mehrstündigen online-Gesprächen standen Jugendfeuerwehrmann Max Dietz und Kommandant Sebastian Müller den Projektmitarbeiterinnen Brigitte Limbeck und Enya Buchner Rede und Antwort zu allen möglichen Bereichen rund um die Arbeit in der Freiwilligen Feuerwehr – angefangen von den regelmäßig nötigen Übungsterminen über den Verwaltungsaufwand, die bisherige Gewinnung neuer Leute, das soziale Miteinander, neue Projekte und die organisatorische Weiterentwicklung der kommunalen Feuerwehr. Von Jugendfeuerwehrler Max wollten die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen speziell wissen, warum er sich unter anderem im Bereich Social Media einbringt oder wie aus eigener Sicht der Wechsel von Jugendfeuerwehr zu den Einsatzkräften abläuft. Die Ergebnisse und das Wissen dieser Gespräche fließen in die umfassende Bestandsaufnahme ein. In Kürze wird es auch einen Internetauftritt zum Forschungsprojekt geben.

Laut Bayerischem Innenministerium waren 2020 bayernweit rund 315.000 Feuerwehrleute ehrenamtlich für diese Form der Daseinsvorsorge tätig. Im Moment sind die Freiwilligen Feuerwehren demnach gut aufgestellt, doch das kann sich künftig ändern. Das Ehrenamt bei der Freiwilligen Feuerwehr ist mit hohen Anforderungen verbunden: Es muss neben Job, Familie und Freunden untergebracht werden und der Ernstfall kann jederzeit eintreten. Der zusätzliche Wandel in der Bevölkerungsstruktur erfordert neue Personalstrategien, geleitet von der Frage: „Wer löscht (auch) morgen?“

Das bayerische Innenministerium finanziert das zweijährige Projekt mit über 200.000 Euro.

 

 

Im März haben die Nürnberger Nachrichten auf ihrer wöchentlichen Hochschulseite einen Artikel zum Thema veröffentlicht.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Nürnberger Presse und Redakteurin Isabella Fischer:

 

Projekt der TH Nürnberg untersucht Ehrenamt

Zahl der Einsatzkräfte sinkt: Zukunft der Freiwilligen Feuerwehr in Gefahr?

Nürnberg - Egal ob Verkehrsunfälle, Brände oder umgefallene Bäume - die Freiwilligen Feuerwehr ist im Notfall zur Stelle. Doch die Zahl der Einsatzkräfte sinkt. Ein Forschungsprojekt der TH Nürnberg untersucht jetzt, wie das Ehrenamt attraktiv bleiben kann.

Mit 14 Jahren ist er in die Freiwillige Feuerwehr in seinem Heimatort Kirchehrenbach im Landkreis Forchheim eingetreten. Es wurde ihm quasi in die Wiege gelegt, erzählt Sebastian Müller, denn schon der Papa war Ehrenamtlicher bei der Feuerwehr. "Das war von Anfang an die Faszination der großen roten Autos mit Blaulicht". 21 Jahre später ist die Begeisterung nicht gewichen, im Gegenteil. "Mich fasziniert das ganze System, wie man ehrenamtlich und großem Teamgeist den Menschen hilft - egal ob es brennt, ein Baum umfällt oder es einen Verkehrsunfall gibt", so Müller.

Im vergangenen Jahr wurden die bayerischen Feuerwehren statistisch gesehen alle zweieinhalb Minuten zu einem Einsatz gerufen. Von den 326.000 aktiven Feuerwehrleuten engagieren sich rund 316.000 ehrenamtlich. Sie spenden einen großen Teil ihrer Freizeit, um im Notfall auszurücken. "Wir sind 24 Stunden erreichbar, egal ob wir gerade beim Abendessen mit der Familie sitzen oder auf einer Geburtstagsfeier sind. Natürlich haben wir noch einen Job, der das Geld reinbringt", sagt Müller.

Engagement für Ehrenamt nimmt ab

Als Ersthelfer ist die Freiwillige Feuerwehr eine wichtige Stütze der Gesellschaft, doch das Engagement für das Ehrenamt schwindet zusehends. In den letzten zwei Jahren sind in Kirchehrenbach fünf neue Einsatzkräfte, außerhalb der Jugendfeuerwehr, dazugekommen, doch auch welche ausgetreten, aufgrund des Alters oder Umzug. "Wir müssen ständig sehen, wo wir unsere Leute herbekommen", sagt Müller.

Wer löscht dann morgen? Diese Frage stellt sich Doris Rosenkranz von der Fakultät Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Nürnberg in ihrem neuen Forschungsprojekt. Gemeinsam mit Interessenvertretungen wie dem Landesfeuerwehrverband Bayern, will sie herausfinden, was geleistet werden muss, damit das Bestehen der Freiwilligen Feuerwehren auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Der Freistaat unterstützt das Projekt mit 200.000 Euro.

Vor allem der Anteil der Frauen, der derzeit bei 10 Prozent liegt, soll erhöht werden. Auch für Menschen mit Fluchterfahrung soll das Engagement bei Freiwilligen Feuerwehren in Zukunft attraktiv gemacht werden, beispielsweise über den Erwerb persönlicher Kompetenzen, sogenannten Soft Skills, die bei Bewerbungen in Unternehmen gern gesehen sind. "Ein Ehrenamt könnte also gleichzeitig einen Beitrag zum Thema Integration leisten", erläutert Rosenkranz.

"Mit einem "Bassd scho" kommt man nicht weit"

Ein weiterer Punkt, den sie untersuchen möchte, ist das Thema Anerkennung. "Mit einem fränkischen "Bassd scho" kommt man nicht mehr weit", so die Soziologin. Eine angemessene Form des Dankes sei von entscheidender Bedeutung, denn "für junge Menschen ist die goldene Ehrennadel kein Anreiz mehr", sagt sie. Auch Feuerwehr-Kommandant Müller ist Wertschätzung wichtig - und davon könnte es noch mehr geben. "Wir sind immer zur Stelle. Wenn die Freiwilligen Feuerwehren aber aufgrund fehlender Ehrenamtlicher wegfallen, hat die Gesellschaft und somit wir alle ein Problem", sagt der 36-Jährige. Durch eine Art Feuerwehrrente oder einer Aufwandsentschädigung könnte ein erster Anreiz geschaffen werden, überlegt er.

Wichtig sei, aufzuklären und im Gespräch zu bleiben. Um das Ehrenamt in all seinen Facetten zu zeigen, setzt Müller viel auf Öffentlichkeitsarbeit. Auf dem Instagram- und Facebook-Kanal zeigen die 53 Frauen und Männer, was hinter den Kulissen in Kirchehrenbach abläuft.

Auswirkungen des demographischen Wandels

In Nürnberg gibt es aufgrund der Berufsfeuerwehr eine gute Daseinsvorsorge, in den ländlichen Regionen ist das längst nicht mehr garantiert. Rosenkranz untersucht auch die Auswirkungen des demographischen Wandels. Lag die Arbeit früher noch nah am Wohnort, ist das Pendeln über längere Strecken heute für viele Arbeitnehmer Alltag. Die Konsequenz: "Wenn ein Alarm ausgelöst wird, können es viele, die auswärts arbeiten, gar nicht in einer vernünftigen Zeit zum Einsatzort schaffen", sagt sie.

Das bestätigt auch Sebastian Müller, der rund 25 Kilometer entfernt in Erlangen arbeitet. "Unser größtes Sorgenkind ist, dass tagsüber die Leute fehlen", so Müller. Durch das pandemiebedingte Arbeiten im Homeoffice sei das Problem zwar kleiner geworden, doch "eine richtige Lösung haben wir dafür noch nicht gefunden."

"Vorab lässt sich schon sagen, dass es den einen "goldenen Schlüssel" zur Gewinnung von Ehrenamtlichen sicher nicht gibt. Aber es gibt viele Ideen, wie ein Ehrenamt attraktiv gemacht werden kann", so Rosenkranz. Diese Ideen möchte sie in den kommenden zwei Jahren ausarbeiten.

Prof. Doris Rosenkranz ist Professorin für Soziologie und Sozialwirtschaft mit dem Schwerpunkt Bürgerschaftliches Engagement an der TH Nürnberg und Sprecherin der Hochschulkooperation Ehrenamt. Sie berät, forscht und lehrt seit vielen Jahren zu Fragen des Freiwilligenmanagements in Kommunen und Verbänden.

Sebastian Müller ist mit 14 Jahren in die Jugendfeuerwehr seines Heimatdorfes Kirchehrenbach im Landkreis Forchheim eingetreten. Mittlerweile ist er Kommandant und kümmert sich auch um die Öffentlichkeitsarbeit.