Dienstag, 10. August 2021

Hochwasser-Katastrophe im Westen: Überörtliche Hilfe klar geregelt – welche WarnApps empfiehlt die Feuerwehr – Lehren für Kirchehrenbach?

 

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Hat sich zum Glück seither nicht wiederholt: Aufgrund langanhaltender Regenfälle kam es am 20. Juli 2011 in Kirchehrenbach zu einem bisher einmaligen Hochwasser. Foto: Christian Pieger


Kirchehrenbach    
Vorstellen hätte es sich niemand können. Und doch hatten die Meteorologen und Wetterdienste recht behalten mit den starken Niederschlägen im Westen der Republik. Was sich dann in den Regionen abgespielt hat, ist seit über drei Wochen in den Medien präsent. Neben unvorstellbaren Schäden an Gebäuden und Infrastruktur gibt es über 180 Tote. Immer wieder ist in den letzten Tagen die Frage aufgekommen, wieso nicht auch aus dem Landkreis Feuerwehren – und/oder die Kirchehrenbacher Brandbekämpfer – vor Ort helfen.
Mit diesem Artikel versuchen wir Antworten auf verschiedene Fragen zu geben.

Ganz klar und zu allererst: 100%ige Sicherheit gibt es nicht und wird es nie geben. Die Gefahrenabwehrbehörde – die Freiwillige Feuerwehr – kann sich nur aufgrund eigener Erfahrungen und örtlichen Gegebenheiten versuchen auf solche Ereignisse vorzubereiten. Auch im Juli 2011 hätte sich bis dato niemand vorstellen können, dass der Ehrenbach so über die Ufer tritt. Seither ist die Gemeinde am Fuße des Walberla immer glimpflich davongekommen – so auch bisher in diesem Sommer mit zahlreichen Gewittern und Starkregengüssen. Trotzdem merkt man, dass sich in der Wetterküche der letzten Jahre etwas geändert hat. Ja Gewitter gab es im Sommer immer. Aber Intensität und Häufigkeit haben zugenommen, lokaler Starkregen hat zugenommen. In den letzten drei Jahren hat man Hitzetage und lange Trockenheit hautnah erlebt. Wie dem jüngst präsentierten Bericht des Weltklimarates zu entnehmen ist, werden jetzt und nicht erst irgendwann die Auswirkungen der Erderwärmung deutlich zu spüren sein – in Form von Hitze, Dürre und Starkregenereignissen.

 

Was tut die Feuerwehr?

Der Blick sowie die Vorbereitung auf Extremwetterereignisse haben sich nach dem Hochwasser 2011 sehr gewandelt. Seither ist mit der Ergänzung der Ausrüstung, der Führungsorganisation bei solchen Lagen (viele Einsatzstellen auf einmal), der Erstellung eines Einsatzplans Hochwasser/Unwetterlagen, der Bevorratung von Sandsäcken beim Bauhof, der Fertigstellung der Notstrom-Einspeisung am Feuerwehrhaus und weiteren Dingen viel geschehen. Sicher ist auch hier, dass das Beüben in diesem Bereich weiterhin auf der Agenda der Einsatzkräfte bleibt.

Außerdem ist seit 2017 der Kontakt zum Technischen Hilfswerk (THW) in Kirchehrenbach neu aufgebaut worden, gemeinsame Übungen und Fortbildungen – auch im Hochwasserbereich – abgehalten worden. Ganz klar muss aber dabei sein: Das THW ist die deutsche Zivil- und Katastrophenschutzorganisation des Bundes und steht für die Hilfe z.B. bei Naturkatastrophen wie jetzt in Westdeutschland oder weltweit zur Verfügung. Es kann jederzeit woanders eingesetzt. Die Gefahrenabwehr vor Ort ist in erster Linie eine gesetzliche Pflichtaufgabe der Gemeinden und wird durch deren Einrichtung, der Feuerwehr, sichergestellt. Das THW kann zur Unterstützung angefordert werden.

 

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Ein Beispiel, wie sich Feuerwehr und THW in Kirchehrenbach austauschen: Der Bau eines Sandsackwalls war ein Thema einer gemeinsamen Großübung im Herbst 2017. Foto: THW/Karo Kötter.

 

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Testlauf in der Abschnittsführungsstelle (2016): Um die Leitstelle bei einer Flächenlage (Unwetter) zu entlasten, laufen in der AFS alle „nicht dringenden Einsätze“ auf und werden dann auf die zuständigen Feuerwehren verteilt. Seit 2013 gehört das zum Aufgabengebiet für insgesamt vier Gemeinden. Archivfoto: smü

 

Darum fährt eine Feuerwehr nicht einfach los

Katastrophenschutz ist Ländersache. Das Bayerische Staatsministerium des Innern ist die Oberstes Katastrophenschutzbehörde, das Landratsamt die Untere – dort wird durch den Landrat (nach Rücksprache mit den Experten) auch der Katastrophenfall festgestellt (und nicht ausgerufen). Um dann ein weiteres Chaos oder blinden Aktionismus zu vermeiden, müssen überörtliche Kräfte – auf dem Dienstweg Landratsamt, Bezirksregierung, Innenministerium – gezielt angefordert werden. Wichtig dabei auch: Es bringt nichts, wenn irgendwelche zusammengewürfelten Fahrzeug- und Personalkombinationen aus ganz Deutschland in Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen einfach aufschlagen. Die Katastrophenschutzbehörde vor Ort fordert an, was sie benötigt. Deshalb sind aus Bayern beispielsweise spezielle Hilfeleistungskontingente Hochwasser/Pumpen aus Bayreuth, Aschaffenburg und Miltenberg losgeschickt worden.

Stichwort Hilfeleistungskontingent: Die Erfahrungen aus der Schneekatastrophe im Bayerischen Wald (2006) haben das Thema überörtliche Hilfeleistung (ein Landkreis hilft dem anderen) neu aufleben lassen. Damals waren bunt gemischte Feuerwehreinheiten losgeschickt worden. Damit das organisiert und vor allem strukturiert abläuft, haben in Bayern alle Landkreise/kreisfreien Städte ein Hilfeleistungskontingent (HLK) Standard aufzustellen, um überregional bzw. Länder- oder Staatenübergreifend Katastrophenhilfe leisten zu können.

Aufgeteilt in eine Führungs-, eine Logistikkomponente sowie vier Löschzüge kann es mit etwa 30 Fahrzeugen und rund 120 Ehrenamtlichen im Katastrophengebiet helfen. Dabei sind auch Verpflegung, Treibstoff und zum Beispiel Feldbetten mit an Bord, um erst einmal autark zu sein. Es bringt nämlich nichts, wenn die auswärtigen Kräfte im Krisengebiet dann zusätzlich zur Last fallen. Das Forchheimer Kontingent befindet sich derzeit in einer Neustrukturierung – die Pandemie machte 2020 einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Dem Kontingent gehören die Kirchehrenbacher mit dem Gerätewagen Logistik an.

 

Geräte-Spendenaktion für Ahrweiler  

Als in den ersten Tagen der Katastrophe auch die Zerstörung zahlreicher Feuerwehrhäuser samt Fahrzeugen und Ausrüstung zu sehen war, bereitete Kommandant Sebastian Müller nach einem Telefonat mit Verantwortlichen in Ahrweiler eine Spendenaktion für Ausrüstung und Geräte vor. Nach „grünem Licht“ von Bürgermeisterin Anja Gebhardt und nach Rücksprache mit Kreisbrandrat Oliver Flake sollte eine Abfrage bei allen Landkreis-Wehren starten, wer welche Ausrüstungsgegenstände für die betroffenen Feuerwehren im Ahrtal spenden könnte. Allerdings kam während der Vorbereitung aus dem Kreisfeuerwehrverband Ahrweiler die Bitte, die Spendenaktion vorerst auf Eis zu legen – von allen Seiten rückten schon Lkw und Transportfahrzeuge mit Feuerwehr-Spenden an. „Vor allem baten die Kameraden um bestimmte dringend benötigte Ausrüstung, bevor Sachen liegen bleiben oder gar nicht benötigt werden. Das haben wir natürlich akzeptiert – auch wenn wir sehr sehr gerne auf diesem Weg unterstützt hätten“, berichtet Kommandant Sebastian Müller.

Eine weitere Unterstützung, auch die Möglichkeit einer Geldspende, behalten sich die Kirchehrenbacher Brandschützer allerdings noch vor.

 

Kann die Gemeinde bzw. die Feuerwehr warnen?

Die Feuerwehr Kirchehrenbach selbst hat nur begrenzende Möglichkeiten zur Bevölkerungswarnung. Zum einen wird regelmäßig ab „höheren“ Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes über die Social Media-Kanäle der Feuerwehr informiert. Zum anderen wäre es möglich, mit Einsatzfahrzeugen Lautsprecherdurchsagen zu machen. Das Vorgehen dazu ist Bestandteil des 2018 fertiggestellten Einsatzplans Hochwasser/Unwetterlagen in der Gemeinde Kirchehrenbach.

Eine Warnung per Sirene ist weder in Kirchehrenbach noch in anderen Gemeinden des Landkreises möglich. Die vorhandenen Sirenen dienen lediglich der Alarmierung der Feuerwehr. Hier wird sich aber mit dem Voranschreiten der Digitalisierung (digitale Alarmierung) vermutlich in den nächsten Jahren etwas ändern. 

 

Welche Apps werden empfohlen?

Eine gute Möglichkeit, sich zu informieren, bieten Smartphone-Apps. Auf jeden Fall empfiehlt die Feuerwehr dafür die WarnWetter-App des Deutschen Wetterdienstes sowie die Warn-App NINA (= Notfall-Informations- und Nachrichten-App) des Bundes, an der sich der Landkreis angeschlossen hat. Hier ist zu beachten: Warnungen werden versendet, wenn eine Gefahr besteht, was aber im Hinblick auf Unwetter nicht bedeutet, dass das Ereignis wirklich eintreten muss. Speziell für die Gemeinde Kirchehrenbach war in den vergangenen Wochen feststellbar, dass Gewitterzellen gedreht oder sich aufgelöst haben, bevor sie ankamen. Das vorauszusagen ist natürlich nicht möglich.

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Viele Möglichkeiten gibt es zur Information, auch spezielle Literatur für die Feuerwehr gehört dazu. Foto: smü

 

Wie sorge ich privat vor?

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog sagte 1997 „... es muss ein Ruck durch Deutschland gehen“. Und genau diesen Ruck brauchen wir – da ist sich Kommandant Sebastian Müller sicher – bei der Einstellung und persönliche Vorsorge auf Extremwetterereignisse. Vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Nicht jede Wetterwarnung heißt, dass die Welt untergeht. Aber es kann kein Schaden sein, Taschenlampen, volle Batterien, ein Radio, haltbare Lebensmittel und ähnliches zuhause zu haben. Das empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) schon seit Jahren, nicht erst seit den Juli-Ereignissen. Wie schnell zum Beispiel der Strom weg sein kann, haben Schneestürme oder auch das Hochwasser entlang der Aisch gezeigt.


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Es wird weiterhin zu Starkregenereignissen kommen – hier im Juli 2018 mit anschließenden Einsätzen. Archivfoto: smü

 

Wie kann jeder Bürger, jede Bürgerin, unterstützen?

Die tägliche Gefahrenabwehr bei Bränden und Unfällen und natürlich bei Extremwetterereignissen kann nur durch genügend Ehrenamtliche abgedeckt werden. Für diese gesetzliche Pflichtaufgabe der Gemeinde werden immer und gerne engagierte Mitstreiter(innen) gesucht. Nachfragen! Anschauen! Vorbeikommen!

Die Mitarbeit in der Feuerwehr ist eine sehr gute Möglichkeit, den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzutreten – natürlich neben den anderen nötigen Veränderungen.

Die Lehre?

Die bisherigen Bemühungen und Vorbereitungen unbedingt weiterführen. Der 21. Juli 2011 hat Kirchehrenbach direkt gezeigt, was Dauerregen anrichten kann, wenngleich nicht mit den jüngsten Ereignissen vergleichbar. Gemeinde und Feuerwehr werden sich weiterhin, soweit es möglich und nötig ist, wappnen. Nur weil die letzten fünf Unwetter vorbeigezogen sind, heißt es nicht, dass das die nächsten fünf auch tun werden.

Weitere Hinweise: